Wer ist Felicitas Geduhn?

Ich bin in einer kleinen Stadt in Sachsen-Anhalt aufgewachsen. Nachdem ich in Bremen studiert habe, zog es mich für einige Jahre nach Berlin und Hamburg. Heute lebe ich mit meiner Familie im Hamburger Umland. Und die Elbe ist gar nicht mal so weit weg.

„Sommer“ ist Dein erstes Buch – um was geht es?

Es beginnt im ostdeutschen Sommer 1989. Ein Sommer, der für die damals zehnjährigen Kinder gut beginnt, der aber tragisch endet. Wir begleiten die Hauptfigur Anna auf einem Stück ihres weiteren, später erwachsenen Lebenswegs und beobachten, was die frühen und einschneidenden Ereignisse mit ihr gemacht haben, wie sie damit umgeht oder auch nicht umgeht.

Hast Du vorher auch schon privat geschrieben?

„Sommer“ ist mein Debüt, auch im literarischen Schreiben. Vorher habe ich ausschließlich in beruflichen Kontexten geschrieben.

Warum wolltest Du literarisch schreiben?

Als Vielleserin und obendrein Germanistin wollte ich wissen (?), wie es sein kann, dass ein Buch mich so umhaut, dass es mir Wochen später immer noch nicht aus dem Kopf geht. Dazu kamen ein bisschen mehr Zeit durch Corona, ein guter Sommer, und wohl auch genug Mut, mich selbst vor ein leeres Dokument zu setzen. Und letzten Endes genug Verbissenheit, dranzubleiben und es durchzuziehen – bis zum letzten Satz.

Hast Du schriftstellerische Vorbilder, die Dein Schreiben prägen?

Es waren vor allem amerikanische Autorinnen und Autoren, die früh meine Lesebiografie geprägt haben und aus der sich jetzt mein eigenes Schreiben speist. Es begann mit Salingers “Fänger im Roggen” und ging weiter mit Hustvedt, Auster & Co. Ich mag und fühle mich inspiriert von Literatur, der es gelingt, sich in einem fiktiven, aber lebensnahen Kosmos den menschlichen Zu- und Umständen zu nähern, um dabei gut und am besten nachhaltig zu unterhalten. Das ist, was ich am liebsten auch in meinen Texten erreichen möchte. 

Dein Roman ist in drei Lebensabschnitte der Protagonistin Anna aufgeteilt – zunächst ist sie ein Kind, dann eine junge Frau, die in ihr Leben startet, und zuletzt eine Erwachsene von 35 Jahren. Was ist für Dich das Magische an diesen Lebensaltern?

Wahrscheinlich ließe sich die Kindheit am ehesten als magisch beschreiben. Danach geht es darum, sich diese Magie zu bewahren, nämlich als Lebenskunst und gute Überlebensstrategie. Die folgenden Lebensalter sind vielleicht eher „besonders“ als „magisch“, auf ihre eigene Weise. Erzählerisch habe ich jeweils nur einen kurzen Zeitraum innerhalb dieser Lebensphasen herausgegriffen. Die Zeiträume dazwischen sind „Leerräume“ – die auf verschiedenen Ebenen der Erzählung eine Rolle spielen.

Inwiefern spielt auch die Geschichte Deutschlands – 1989, 2000 und 2015 – ins Leben Deiner Romanfiguren hinein?

Die Geschichte ist sozusagen das Bühnenbild. Ohne sie geht es nicht, sie spielt sich aber nicht in den Vordergrund. Sie nimmt mal laut, mal leise Einfluss, spielt hier und da an den Reglern, aber die – innere - Geschichte der Figuren würde wahrscheinlich auch vor einem anderen historischen Kontext stattfinden können.

Einmal lässt Du Annas Cousin Martin sagen: „Wir sind Kinder. Weiter unten, verstehst du? Wir sehen viel mehr“. Inwiefern unterscheiden sich die Kinder in Deinem Roman vom Wesen der Erwachsenen?

Die Kinder im Roman sind zehn, fast elf Jahre alt. Sie befinden sich an einer Schwelle – die Kindheit ist noch nicht ganz vorbei, aber ein neuer Abschnitt noch entfernt – und beginnen langsam zu ahnen, dass es hinter dieser Schwelle, in der Welt der Erwachsenen, anders zugeht. Das erfüllt sie mit Misstrauen, vielleicht auch ein bisschen Angst. Das Verhalten der Erwachsenen in ihrem Umfeld bestätigt sie noch in diesem Gefühl. Bis auf eine Erwachsene, die sich etwas aus ihrer Kindheit hinübergerettet zu haben scheint, und die nicht zuletzt dadurch schnell zur Verbündeten für die Kinder wird.

Welche Bedeutung hat die „Familie“ für Deine Protagonisten?

Familie kann Halt bedeuten, aber eben auch Haltlosigkeit. Sie kann dir Sicherheit und Trost schenken, genauso wie das glatte Gegenteil. Die Familien im Roman sind allesamt fragil, klassische Familienmodelle greifen nicht, oder aber nur oberflächlich und von außen betrachtet. Und Familie ist ein Wort, das sicherlich auch für Sehnsucht steht.

In Deinem Buch fallen Frauen insbesondere dadurch auf, dass sie Verantwortung übernehmen – für sich selbst und für andere. Männer wirken dahingegen verletzlich und sind aus verschiedenen Gründen oft nicht da. Sind Frauen für Dich das starke Geschlecht? Verstehen Sie es besser, ein Leben zu führen?

Diese Frage bietet Stoff für eine ganze Debatte. Ich möchte es abkürzen. Eine starke Frau? Ein verletzlicher Mann? Oder doch umgekehrt? Beides und alles darüber hinaus darf bedenkenlos möglich sein, im Roman wie im echten Leben.

An einer Stelle schreibst Du über eine Holzwerkstatt, die aus Fehlstellen im Holz „Schönes“ entstehen lässt, „Brüche als gestaltende Elemente, aufgefüllt mit etwas anderem und Natürlichem, machen das Holz zu etwas Neuem und ganz und gar Unbelastetem“. Sind – im übertragenen Sinn – die Brüche im Leben Deiner Protagonisten das, was ihr Leben lebensecht macht?

Ja, so kann man es beschreiben. „Sommer“ erzählt von den Leerstellen und Rissen, die man im Leben – oft schon früh – erfährt und die einem nachhängen. Wie Geister, die man nicht abschütteln kann. Und eben, weil sie sich nicht so leicht abschütteln lassen, muss man sich das Leben mit ihnen einrichten, es sich mit ihnen gestalten, wenn man so will. Darum geht es.

Dein Roman heißt „Sommer“ und weist eine Menge Bezüge zu den Jahreszeiten auf – insbesondere begleitet den Leser eine Schildkröte, die im Kühlschrank ihren Winterschlaf hält und wohl alle Protagonisten überleben wird. Welche Bedeutung haben die Jahreszeiten für deinen Roman?

Die Jahreszeiten bestimmen und beeinflussen bestimmte Denkweisen und -muster, sie geben den Ereignissen einen Rahmen. Oft sind sie ein Indikator für Erinnerungen. So auch im Buch.

Auch Bücher und Briefe erscheinen als tragendes Element – zwei deiner Figuren arbeiten in einer Bibliothek, wichtige Briefe werden erst nach dem Tod der Verfasserin gelesen und bestimmen dennoch ganze weitere Lebensverläufe. Hängt das damit zusammen, dass auch Schrift dieses lange Leben hat – einer Schildkröte vergleichbar?

Vereinfacht gesagt: Die meisten Menschen sind ja nicht zuverlässig gut darin, sich alles Wichtige ins Gesicht zu sagen. Da bleibt nicht viel anderes übrig als meistens immer noch ein Brief. Und nebenbei vermag auch Schrift, die Zeiten zu überdauern. Zusammen mit Greta, der Schildkröte, und dem Fluss stehen sie für eine gewisse Zeitlosigkeit.

Welche Bedeutung hat die Elbe – der „achtlängste Fluss unseres Kontinents“ – für die Handlung Deiner Geschichte?

Egal, was in der Geschichte passiert: Der Fluss treibt weiter und liefert damit auch eine Art von Verlässlichkeit im Leben der Figuren. Gleichzeitig bietet er an seinen Ufern ein landschaftliches Setting, das wie die Figuren ständigen Veränderungen unterworfen ist. Veränderungen, die den ehemals weiten Horizont zerschneiden, und vielleicht auch wehtun.

Auch dem Zugfahren widmest Du viel Reflektion. Hat das eine tiefer gehende Bedeutung?

Ich fahre gerne Zug. Es hat für mich eine Art gemütlicher Langsamkeit und gleichzeitig rauschen die Bilder in den Zugfenstern an mir vorbei. Ein Widerspruch, eine Mischung, die ich mag. Natürlich immer vorausgesetzt, dass der Zug pünktlich den Anschluss erreicht, und die Reise nicht in Stress ausartet.

Und last but not least: „Sommer“ ist in der Ich-Form geschrieben. Hat die Handlung autobiographische Anteile?

Mir gefällt die Ich-Perspektive. Sie macht es mir am leichtesten, mich in die Figur hineinzufühlen, beim Lesen wie beim Schreiben. Die Geschichte ist natürlich fiktiv. Doch womöglich kommt man nie wirklich ganz aus seiner Haut – auch und vielleicht besonders beim Schreiben. An einer Stelle ist es vielleicht der Charakterzug einer Figur, an einer anderen ein kleiner Nebenschauplatz – die Inspiration kommt aus jeder möglichen Ecke und Erinnerung.

Danke für das Gespräch, liebe Felicitas Geduhn.