Warum hast Du dieses Buch geschrieben?

 

Forschende müssen sich angesichts der globalen Herausforderungen im 21. Jahrhundert vielen, gesellschaftlichen Fragen stellen und Lösungsansätze liefern. Das ist keine leichte Aufgabe, zumal der öffentliche Stellenwert der Wissenschaft als solche immer wieder heiß diskutiert wird. „Wie politisch darf Wissenschaft sein?“ steht der Frage „Wie unwissenschaftlich darf Politik sein?“ gegenüber. Dazu kommt die zunehmende Präsenz von Forschungsergebnissen in den Medien, die sich immer wieder in Simplifizierungen, Pauschalisierungen oder False Balance verläuft. Mit „Alles bio – logisch?!“ habe ich versucht, meine Faszination für die Pflanzenforschung in ein niedrigschwelliges Format zu bringen, in dem sich jede und jeder wiederfinden kann. Die Bestrebungen nach mehr Nachhaltigkeit, pflanzen-basierter Ernährung und ebenso auf nachwachsenden Rohstoffen beruhenden Wirtschaftsformen sind wichtige Schritte im Kampf gegen die Klimakrise. Trotzdem müssen wir mit Mut einen Wandel anstoßen, der für uns alle nicht einfach wird. Dieses Buch soll demnach Denkanstöße für eine nachhaltigere Lebensweise anbieten, die auf der Basis wissenschaftlicher Evidenz nicht nur messbar wird – sondern sogar Spaß machen kann.

Wer sollte Dein Buch lesen?

 

Wer sich seiner ganz persönlichen Verantwortung für die Endlichkeit der planetaren Ressourcen bewusst ist, hat sicherlich Gefallen an meinem Buch. Aber auch wer einfach gerne in der fantastischen Welt der Wissenschaft stöbert, alternative Ernährungsformen feiert, Pflanzen-Fakten spannend findet oder nachhaltiger leben möchte, wird sich hier wiederfinden. Nicht zuletzt richtet sich das Buch ganz bewusst an die (hoffentlich) mutigen Entscheidungstragenden der Gegenwart und Zukunft, ohne die wissenschaftliche Errungenschaften wohl für immer im Labor bleiben würden. 

Welche Kern-Botschaft hat Dein Buch?

 

Damit die Umstellung auf Pflanzenprodukte nicht nur für unsere Ernährung, sondern auch für die gesamte produzierende Industrie funktionieren kann, brauchen wir einen ziemlich radikalen, innovationsgetriebenen Wandel. Wenn wir diesen als Gesamtgesellschaft tragen wollen, müssen Forschende und Konsumierende in einen transparenten, ehrlichen Dialog treten. 

Braucht es denn heute „Science-Slammer“, um die Menschen noch für Wissenschaften wie die Biologie zu interessieren?

 

Absolut. Wir erleben es immer wieder bei Veranstaltungen, dass Zuschauende zum ersten Mal mit Forschungsergebnissen in Kontakt kommen und viele, interessierte Rückfragen stellen. Natürlich kann das Interesse an den Wissenschaften auch anderswo geweckt werden – aber wann hat man schon mal die Chance, sich bei einem kühlen Getränk mit „echten“ Wissenschaftler*innen zu unterhalten?

Du erwähnst in Deinem Buch, dass sich der Mensch von nur 30 Pflanzen ernährt (insofern er Pflanzen isst), dabei stehen ihm sogar 30.000 zur Verfügung. Warum wissen wir so wenig über diese Pflanzen?

 

Zunächst einmal essen wir natürlich alle Pflanzen in mehr oder weniger erkennbarer Form. Tierische Produkte bedürfen pflanzliches Futter, und wiederum andere (verarbeitete) Produkte enthalten ausnahmslos pflanzliche Zusätze. Das ist uns oft ebenso wenig bewusst, wie die schier unerschöpfliche Quelle essbarer Pflanzen, die es noch zu ergründen gilt. Die Züchtungsgeschichte hat erbracht, das bloß eine Handvoll Kulturpflanzen unsere gesamte Ernährung bestimmen, während andere nicht kultiviert und zu nennenswerten Erträgen gebracht wurden. Erst mit den technischen Möglichkeiten der letzten Jahrzehnte haben wir die Werkzeuge zur Hand, um in diesen genetischen (und geschmacklichen) Schätzen nach alternativen Nahrungsquellen zu forschen und so die Biodiversität auf dem Acker – und auf unseren Tellern! – zu erhöhen.

Welche drei dieser ominösen Unbekannten kannst Du besonders für den Verzehr empfehlen? Welche hat die krasseste Superkraft?

 

Dazu lohnt oft schon ein Blick nach Fernost: Algen sind Bestandteil vieler asiatischer Gerichte und können weit mehr als nur Sushi! Außerdem benötigen sie im Anbau weder Landfläche noch Trinkwasser. Ein weiterer Tipp aus meinem Gemüsegarten ist die Physalis (Kapstachelbeere): Sie wächst super auch in unseren Breitengraden und ersetzt mit ihrem fruchtigen Aroma bei mir exotische Zutaten wie Mango oder Papaya. Zuletzt gibt es eine Vielzahl an Hülsenfrüchten (z.B. Linsen, Lupinen oder Ackerbohnen), die als Nutzpflanzen eher ein Nischendasein fristen. Dabei sind sie nicht nur fleischersetzende Proteinbomben, sondern haben auch die Superfähigkeit, einen Pakt mit Mikroorganismen im Boden einzugehen und so komplett ohne Dünger auszukommen!

In Deinem Buch empfiehlst Du, sich von der Lebensweise der Pflanzen inspirieren zu lassen. Welche praktischen Tipps hast Du?

 

Pflanzen schaffen es, sich an die widrigsten Umstände anzupassen und aus wenigen Zutaten (Licht, Luft und Wasser) alles zu beziehen, was sie zum Leben brauchen. Überschüssiges Wasser geben sie über ihre Blattporen wieder ab und nach ihrem Tod versorgen sie den Boden erneut mit Nährstoffen. Auch für uns Menschen könnte es eine Inspiration sein, unseren Konsum auf das nötigste zu reduzieren und eine Art Stoffkreislauf zu verwirklichen. So könnten wir bewusster einkaufen, vorausschauender planen und „verbrauchten“ Dingen eine neue Funktion verpassen. Wenn wir es wie die Pflanzen halten, dann haben hoffentlich noch viele Generationen nach uns eine gesunde und fruchtbare Grundlage, auf der sie wachsen und gedeihen können. Kurzum: Reduktion auf das Nötigste, und wo es geht reparieren, wiederverwenden oder recyclen!

Was ist eigentlich „grüne Gentechnik“ und was ist das Gute daran?

 

Die grüne Gentechnik nutzt molekularbiologische Methoden, um gezielt Erbinformationen in Pflanzen zu aktivieren, auszuschalten oder einzubringen. Damit gehört sie wie die klassische Kreuzung zu den Züchtungsmethoden, ist jedoch deutlich zielgerichteter und schneller. Wenn wir unser Obst und Gemüse an die Veränderungen in unserer Umwelt anpassen wollen, müssen Pflanzenzüchter bald neue Sorten erfinden, die z.B. besser mit Trockenheit oder erhöhtem Schädlingsbefall zurechtkommen. Die grüne Gentechnik wird von einem Großteil der Deutschen abgelehnt, ist aber bei genauerem Hinsehen eine zukunftsweisende Technologie, die zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft beitragen kann. Pflanzen, die sich selbst durch genetische Superkräfte versorgen und verteidigen können, benötigen weniger Dünge- bzw. Pflanzenschutzmittel und könnten damit ein wichtiger Baustein in der Zukunft der Pflanzenproduktion sein.

Warum haben Menschen, die in klimagebeutelten Regionen leben einen anderen Bezug zu Pflanzenschutzmitteln?

 

Als Importnation haben wir es in gewisser Weise verlernt, uns selbst zu genügen. Selbst im verheerenden Dürrejahr 2018, in dem viele deutsche Betriebe Missernten verzeichneten, haben wir Verbrauchenden davon kaum etwas gespürt. Knappe Lebensmittel wurden schlicht aus dem Ausland zugekauft. In anderen Ländern ist das nicht so. Gerade die ärmeren und klimagebeutelten Gebiete der Erde sind oft stärker von ihrer eigenen Agrarproduktion abhängig und eine Sicherung der Erntemengen ist hier essenziell im Kampf gegen den Hunger. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass hierzulande der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln eher als „unnötig“ oder „unökologisch“ bewertet wird, während er in anderen Erdteilen schlicht zur Existenzsicherung dient (unabhängig davon, wie ungesund oder umweltschädigend dies auch oft sein mag).

Um wieder über unseren Breitengrad zu sprechen: Was macht den (protestierenden) Bäuerinnen und Bauern von heute das Leben so schwer?

 

Die oben erwähnte Wahrnehmung von Verbrauchenden, die immer volle Regale vorfinden, führt zu einer stetig abnehmenden Wertschätzung der Arbeit von Landwirtinnen und Landwirten. Pflanzen- wie Tierprodukte werden zunehmend als selbstverständliche, zu jeder Jahreszeit verfügbare Güter gesehen, die sie ganz und gar nicht sind. Die Folge: Ein enormer Produktionsdruck, Preisverfall und eine immer weitreichendere Wertschöpfungskette, an dessen Ende die Erzeugenden mit geringstem Verdienst auskommen müssen. Immer mehr Betriebe werden aufgegeben und in größere, industrielle Komplexe einverleibt. Hier sind (neben politischen Weichenstellungen) auch wir Konsumenten gefragt, Landwirtschaft wieder als das zu schätzen und zu entlohnen, was sie ist: Die Quelle unserer Nahrungsmittel.

Warum ist Landwirtschaft in ihren aktuellen Ausmaßen und in ihrer aktuellen Form schlecht für unser Klima?

 

Überkonsum und Preisverfall kombiniert mit einer stetig wachsenden Bevölkerung haben u.a. dafür gesorgt, dass die landwirtschaftliche Fläche enorm angestiegen ist. Wo die bereits genutzte Fläche nicht ausreichte, haben wir vielfach Habitate in Agrarlandschaften verwandelt, Moore entwässert oder Wälder gerodet. Man muss kein Pflanzenforscher sein, um die Folgen dieses sog. Landnutzungswandels zu ahnen, die wir bereits sehen. Durch das „Aufbrechen“ der Fläche, sowie durch den hohen Energiebedarf der industriellen Nahrungsmittelproduktion, wird etwa ein Viertel der Treibhausgasemissionen verursacht. Außerdem ist der monokulturelle Anbau mit Hilfe großer Maschinen ein sich selbst verstärkendes Phänomen: Je mehr Energieaufwand, desto mehr Klimagase; je mehr Klimagase, desto schneller die Erwärmung – und die damit verbundenen Probleme. So ist Landwirtschaft heute Treiber und zugleich Opfer der Klimakatastrophe. Höchste Zeit, auch hier Veränderung zu propagieren.

Inwiefern tragen auch heimische Gartenbesitzer Verantwortung?

 

Unsere Gärten sind unser persönlicher Rückzugsort, unser ganz eigenes Stückchen „Natur“, das wir nach unserem Geschmack formen, umgestalten oder auch wuchern lassen können. Sie sind aber auch grüne Kacheln in dem Mosaik des urbanen Raums, die wie kleine Oasen für die (oft unsichtbare) Biodiversität der Stadt funktionieren. So können wir Gärtnernde nicht nur durch Pflege und Erhalt von alten Obstbäumen, sondern auch durch kleine ökologische Raststätten für eine Vielzahl von Insekten und Kleintieren den Unterschied machen. Davon abgesehen haben wir während der historischen Hochwasser-Ereignisse 2021 gesehen, wie verheerend versiegelte Flächen sein können, auf denen Starkregenfälle (ein Symptom des Klimawandels!) nicht abfließen können. Durch das Offenhalten und verantwortungsbewusste Gestalten der letzten „grünen Bastionen“ hinter unseren Häuschen können wir alle Klimaschutz betreiben.

Was meint der Begriff „öko-progressiv“?

 

Die öko-progressive Bewegung sucht Lösungsansätze für Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen nicht etwa in der Vergangenheit, sondern bewusst im modernen Leben von heute und morgen unter messbaren Kriterien. Anstelle eines oft rückwärtsgewandten Narrativs der klassischen Öko-Strömungen („Früher war alles besser“), wird im Öko-Progressivismus gerade der Fortschritt von Wissenschaft und Technik als Chance gesehen, um ein gutes, Leben für alle Menschen zu ermöglichen und gleichzeitig natürliche Systeme zu schützen. Echte Nachhaltigkeit erfordert ein Umstrukturieren aller relevanten Branchen, ohne dass dabei auf innovative Technologien verzichtet werden muss. Altes und neues Wissen klug kombinieren, das bedeutet Nachhaltigkeit im öko-progressiven Sinne.

Welche „drei Dimensionen“ sollten beim Kauf eines Buches oder eines Steaks eine Rolle spielen?

 

Jedes Produkt – egal ob Steak, Buch oder Klobrille – kann einer Lebenszyklusanalyse unterzogen werden, um seine Nachhaltigkeit zu „errechnen“. Das klingt total schlau, meint aber im Grunde nur die Addition allen Energieaufwands von Anfang bis Ende („from cradle to grave“) seines Lebens. Dabei sind drei wichtige Dimensionen zu berücksichtigen: Die ökologische (z.B. Wie viele Emissionen? Wie viel Landnutzung?), die ökonomische (Wer hat etwas davon?) und die soziale (Fördert mein Kauf den Strukturwandel in Region X?, etc.). Nur zusammen bilden diese Faktoren ein Gesamtbild, anhand dessen wir unsere Kaufentscheidungen bewerten können. Natürlich können das nicht alle jederzeit umsetzen – handhabt es im Zweifel einfach wie die Pflanzen (siehe Frage 7)!

Und last but not least: Welchen einfachen aber entscheidenden „Planetenretter“-Tipp hast Du für unerfahrene Neulinge auf dem „Kraut-Sektor“?

 

Hinterfragt nicht nur die Tierprodukte, sondern eben auch die pflanzlichen Zutaten auf eurem Speiseplan! Wo kommt das her? Was heißt eigentlich „Bio“? Hat das überhaupt gerade Saison? So werdet ihr automatisch – ganz „natürlich“ – zu echten Pflanzenforscher*innen :)

Danke für das Gespräch, lieber Dr. David Spencer